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Warum ich es satt habe „perfekt“ zu sein.

Warum ich es satt habe, perfekt zu sein

Ich liebe das Unperfekte. Ich liebe Ecken und Kanten, Wunden und Narben, besondere Eigenschaften und Eigenarten. Bei jedem Fotoshooting mit der lieben Anna von Ridgipics suche ich mir mindestens ein Foto aus, auf dem mein Hund und/oder ich völlig bescheuert aussehen, weil das für mich die echten Momente sind, die es einzufangen gilt. Dieses hier ist eins davon.

Gleichzeitig spüre ich eine unglaubliche Last auf meinen Schultern. Ich habe Angst, dass andere Hundemenschen mich nicht als Trainerin oder Coach buchen, wenn ich nicht nach außen hin mein Leben und meine Hunde im Griff habe. Jedes Mal, wenn Franzl im Hundeladen oder im Wartezimmer beim Tierarzt vor Aufregung den ganzen Raum zusammenkläfft oder beide Hunde beim Dorfspaziergang mal den Hund auf der anderen Straßenseite anpöbeln, erstarre ich innerlich und die Panik bricht aus. Was denken die anderen Menschen von mir? Wissen sie, dass ich Hundetrainerin bin? Wenn ja, erzählen sie in ihrem Bekanntenkreis von dieser Frau, die ihre Hunde so gar nicht unter Kontrolle hat und daher offensichtlich nicht kompetent und sachkundig ist?

Ich vergleiche mich online und offline mit Kolleg*innen, die ihren Hunden alle möglichen tollen Tricks beibringen, deren Hunde toll an der Leine laufen, die zumindest nach außen hin Souveränität und Sicherheit ausstrahlen. Ich werde immer kleiner vor Scham, wenn ich Texte lese, in denen andere Hundemenschen darüber berichten, wie sie auch die anstrengendsten Situationen mit der Sanftmut und Geduld von Mutter Theresa gemeistert haben, ohne ihrem Hund auch nur einmal gegenüber ausfallend zu werden.

Lange Zeit habe ich das versucht zu kompensieren, indem ich entweder nicht im Ort spazieren gegangen bin, online nur die Momente geteilt habe, in denen ich mit meinen Hunden schöne Sachen gemacht habe oder in denen sie top gehört haben. Und auch heute ist immer noch der Impuls da ein bestimmtes Bild von mir zu erschaffen, das ich der Außenwelt präsentieren möchte. Schließlich kann eine schlechte Außenwirkung potentiell geschäftsschädigend sein und ganz schnell das berufliche Ende bedeuten.

Gleichzeitig ist da diese kleine Stimme in mir, die mich fragt, ob es denn wirklich so schlimm wäre, wenn die Menschen sehen, dass ich nicht perfekt bin. Vieles von dem, was ich mir an negativen Reaktionen einbilde, ist lediglich ein Produkt meiner überaktiven Gedanken. Wie viel Wahrheit steckt also in meiner Angst als der Mensch gesehen zu werden, der ich tatsächlich bin? Und was wäre, wenn die Menschen zu mir kämen gerade WEIL ich meine Makel, meine Fehler, meine chaotischen Hunde habe? Machen mich meine eigene Verletzlichkeit, meine eigenen Erfahrungen mit der Angst, meine Einschränkungen der geistigen und körperlichen Kapazitäten nicht gerade deshalb zu einer Trainerin, die mit Verständnis und auf Augenhöhe mit ihren Kund*innen in Verbindung gehen kann?

Vielleicht ist es einfach vollkommen in Ordnung, wenn andere Menschen die Fortschritte nicht sehen, die meine Hunde schon gemacht haben. Vielleicht ist es einfach in Ordnung kein riesiges Entertainmentprogramm für Mylo und Franzl abzuleisten, wenn ich gerade andere Probleme zu bewältigen habe und wir uns stattdessen einfach gemeinsam auf das Sofa kuscheln und die gemeinsame Zeit genießen. Vielleicht ist es völlig okay, wenn ich viele Dinge über sinnvolle Managementmaßnahmen regele anstatt an allem gleichzeitig zu trainieren, wenn mir für mehr gerade die Kraft fehlt. Vielleicht ist es in Ordnung der Welt da draußen zu zeigen, dass auch Hundetrainer*innen vor allem Hundehalter*innen und Menschen sind. Vielleicht ist es in Ordnung zuzugeben, dass auch ich meine Hunde mal anschreie, wenn meine eigene Impulskontrolle aufgebraucht ist. Vielleicht ist es okay die Erwartungshaltung ziehen zu lassen, dass ich immer nett und freundlich zu den beiden bin, einfach weil ich ein Mensch bin und sie mir regelmäßig enorm auf die Nerven gehen. Vielleicht ist es in Ordnung zu zeigen, wie sehr ich sie trotzdem liebe und was für ein verdammt geiles Team wir im letzten Jahr geworden sind, auch wenn Außenstehende das vielleicht nicht sehen können. Vielleicht ist es einfach völlig okay, dass wir drei einfach so sind wie wir sind, mit all unseren Narben, Eigenarten, Macken und Kanten. Und vielleicht gehen wir einfach gemeinsam unseren Weg, in unserem Tempo, mit unseren Fähigkeiten und Einschränkungen, ohne etwas darauf zu geben, was andere für eine Meinung dazu haben.

Und das Beste, was uns dabei passieren kann? Dass andere Menschen uns folgen. Dass wir zeigen können, dass du nicht perfekt sein musst, um liebenswert zu sein. Dass wir dir durch unser Beispiel den Druck nehmen, dass dein Hund fehlerfrei sein muss. Dass wir der Welt gemeinsam mit so viel Authentizität begegnen, dass wir nach und nach die Angst ablegen und die Fassade bröckeln lassen.

Machst du mit?

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